Hatch Conference 2023 – Persönliche Takeaways & Tipps

Lead UX/UI Designer @ Chrono24

Hatch Conference 2023

Am 5. und 6. Oktober 2023 hatte ich das Vergnügen die Hatch Conference in Berlin zu besuchen – eine Konferenz speziell für Senior, Lead und Manager im UX, UXR und Produktumfeld mit gerade einmal 350 ausgewählten Teilnehmern. Die Ausrichtung auf diese spezielle Zielgruppe hat mich direkt angesprochen, denn meist enden Konferenzen mit dem Gefühl, dass der Spirit zwar cool, aber das meiste doch schon bekannt war, gerade wenn man schon ein paar Jahre im Business ist. Deshalb möchte ich in diesem Artikel auch weniger auf die Inhalte eingehen, sondern meine persönlichen Takeaways mit euch teilen.

 

 

Wie man sich (nicht) in der Discovery verliert

Vielen ist Jamie Levy vermutlich schon ein Begriff. Sie ist eine UX-Strategin, die durch diverse Vorträge und ihr Buch „UX-Strategie“ bekannt geworden ist. Sowohl bei ihrem Workshop als auch bei ihrem Vortrag am Tag danach ging es darum, wie man einen vollumfänglichen Research in einer Discovery-Phase tätigt und damit Stakeholder überzeugen kann. Dabei ist sie vor allem auf die DOs and DON’Ts in jedem Schritt eingegangen.

Meine Tipps & Takeaways: 

  1. Kenne die Konkurrenz genau
    Die Discovery-Phase ist für ein Unternehmen bzw. ein Produkt essenziell. Natürlich ist solch ein umfangreicher Wettbewerbsvergleich vor allem für die Positionierung eines neuen Unternehmens wichtig. Dennoch sollte man auch danach regelmäßig den Markt beobachten und die Positionierung der Konkurrenz analysieren. Und je mehr Perspektiven man beleuchtet, desto zielgerichteter kann man agieren. Hierfür kann ich euch das Buch UX Strategie empfehlen, da die Autorin darin viele unterschiedliche Aspekte beleuchtet.
  2. Research als Hilfe fürs interne Alignment
    Nicht nur für das Verständnis des Nutzers und seiner Probleme ist die Discovery-Phase wichtig, sondern vor allem auch für das Alignment im Team. So erspart man sich Diskussionen oder Probleme bei der Identifizierung mit dem Thema innerhalb des Teams.
  3. Überzeuge durch Ergebnisse, statt zu oft nach Erlaubnis zu fragen
    Vermutlich wird nicht jedes Unternehmen ausreichend Zeit für den Research zur Verfügung stellen, aber auch hier ist der klare Appell: Mach es trotzdem und überzeuge mit den Ergebnissen, um nächstes Mal schon von Beginn an ein Verständnis im Unternehmen dafür zu generieren.
  4. Nach Iteration-Workshops Ergebnisse zusammenfassen
    Workshops sind cool und helfen dem Team am Ende auch immer dabei, sich zu alignen. Aber sobald man sich wieder mit anderen Dingen beschäftigt, wird das große Miroboard doch schwer zu erfassen. Deshalb empfand ich Jamies Tipp, die Ergebnisse nochmal per Mail im Nachgang als Zusammenfassung in die Runde zu senden als sehr hilfreich.

 

Stakeholder sind auch „nur“ Menschen

Dieser Vortrag war die Fortsetzung des Appells von Jamie Levy. Kevin Hawkins hat weitere nützliche Tipps mit an die Hand gegeben, wie man die Stakeholder von seinen Ideen überzeugen kann. “Der UX-Designer findet…”, „Als UX Sicht sollte man…“ sind natürlich keine guten Argumente, um gehört zu werden. Besser ist es, eine Allianz im Team bzw. im Unternehmen zu finden und gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Im besten Fall sitzen aus den verschiedenen Gewerken alle Beteiligten an einem Tisch, sodass man gleich den Input von allen konsolidieren kann. Klingt naheliegend? Scheint aber nicht überall schon so interdisziplinär zu sein, wie ich es von meinem Unternehmen kenne.

Meine Tipps & Takeaways: 

  1. Allianzen optimieren und visualisieren
    Wenn gewisse Kompetenzen im Unternehmen fehlen, bietet es sich an, dies den Stakeholdern nicht nur zu sagen, sondern auch aufzuzeigen, z.B. in Form einer Skills Map, die man übereinanderlegt. So wird jedem auf einen Blick klar, wo etwaige Defizite vorliegen.
  2. Auch Stakeholder sind Menschen
    Statt immer nur mit harten Fakten zu überzeugen, ist es manchmal sinnvoll einen anderen Kanal zu nutzen. Neben den Fakten hat auch die Emotion in Form von Geschichten einen Einfluss auf die Entscheidung der Stakeholder. Dies können Nutzererlebnisse, aber auch persönliche Erfahrungen aus der Firmenhistorie sein. Meine Empfehlung ist hier, in ein persönliches Gespräch einzusteigen, dann fällt es auch deutlich einfacher herauszufinden, was denjenigen begeistert oder auch was seine Leading Key Results sind.
  3. Working backward als Methode
    Bei Amazon wird eine Technik verwendet, die sich „Working backward“ nennt. Statt Kunden zu finden, die das eigene Produkt lieben, sucht man sich Kunden und schaut, welches Produkt ihnen fehlt.
    „Am Anfang des Innovationsprozesses steht eine fiktive Pressemitteilung, die das Team zu verfassen hat. Dabei stellt sich das Team vor, dass es einen Produktlaunch in den Markt kommuniziert. Pressemitteilungen müssen in einer Sprache verfasst sein, die allgemein gut verständlich ist, für Leser und Kunden. Die Produktvision muss also auf diesem Wege in eine kundenfokussierte Sprache gebracht werden – unabhängig davon wie komplex das Produkt und der Weg dorthin sein mögen.“(Quelle: https://www.copetri.com/working-backwards-als-innovationsmethode/)

 

Die Produktentwicklung ist auf das Business und nicht auf Innovationen ausgelegt

Bei Dan Tases Vortrag ging es darum, wie wir im Alltag Zeit für Innovationen einrichten können. Beschäftigt man sich mit der Thematik, was das Team im Alltag von Innovation abhält, tauchen oft Reaktionen auf wie „Der MVP funktioniert ja, das reicht“ , „Dafür haben wir keine Zeit“ oder „Das ist viel zu groß/verrückt“.

Meine Tipps & Takeaways: 

  1. Nebenbei funktioniert nicht (wirklich)
    Regelungen wie die 20% von Google, spezielle Hackathons von Facebook oder Designsprints schaffen vielleicht kleine Schritte, aber am Ende gibt es einfach zu wenig Zeit und der Übertrag in den realen Arbeitsalltag findet aufgrund des Umfangs dann doch nicht statt.
  2. Ein eigenes Team funktioniert auch nur begrenzt
    Apple hat z. B. ein Innovationsteam, aber meist ist solch ein Team erstmal eine kostenintensive Investition. Und wenn dann gute Ideen entstehen, passen diese oftmals nicht in das Core-Produkt und müssen leider wieder verworfen werden.
  3. Das beste aus beiden Welten: Temporäre Innovationsteams
    Dan hat hier von seiner Erfahrung berichtet, wie sie aus dem Squad heraus ein spezielles Team für 3 Monate zusammengestellt haben. Das Team war klein genug, um nicht zu viele Kosten zu verursachen, aber erfahren und groß genug, um am Ende auch die Manager mit einem Ergebnis zu überzeugen. Sie nutzen u.a. neue Kollegen mit frischem Blick und arbeiteten in einem Warroom-Modus, in dem sie schnell Ideen mit Nutzern validiert haben. Eine gute Option ist natürlich auch auf das Thema Innovationen ein OKR für 3 Monate anzusetzen.

 

In jedem OKR steckt UX mit drin

So lautete die Aussage im Workshop von Bilgi Karan. Ein Workshop, der sich u.a. mit den Interessenskonflikten zwischen Geschäftsführung und Mitarbeitern in der Produktentwicklung beschäftigt – vor allem wenn die Business KPIs das oberste Gut sind und die Experience bzw. ethische Komponenten diesem untergeordnet sind. Doch schaut man sich den Aufbau von OKRs genauer an wird klar, dass die beinhalteten Key Results (z.B. Uplift in der Conversion), die die Geschäftsführung glücklich machen, auch immer einen Outcome generieren müssen. „An outcome is a change in human behaviour that drives business results“ so lautet die Defintion. Wenn also „human behavior“ nichts anderes ist als die User Experience und wir damit auch die „business results“ positiv beeinflussen können, dann haben wir als UX-Designer indirekt auch einen Einfluss auf die Menschen und den Planeten. Das fand ich einen ganz charmanten kleinen Aha-Effekt.

Meine Tipps & Takeaways:

  • Ethik ist nicht (nur) Aufgabe der Geschäftsführung
    Wir müssen uns bewusst machen, dass auch wir als UX-Designer aktuell schon dazu betragen, wie das Unternehmen wahrgenommen wird. Es gibt auch innerhalb von OKRs immer einen Spielraum, den wir positiv nutzen können, um ethische Probleme zu identifizieren und zu vermeiden.
  • User Storys lösungsoffen formulieren (Fokus auf Probleme statt Lösungen)
    Um das OKR zu erreichen, werden User Storys geschrieben. Werden diese z. B. in der Art „Als Nutzer möchte ich…“ formuliert, schränkt das den Lösungsraum direkt ein. Besser ist es, in der Formulierung auf das Problem einzugehen „Als Nutzer möchte ich nicht…“, sodass dann der Lösungsraum erst einmal geöffnet wird.
  • Probleme als Benefit für’s Marketing
    Der Fokus auf das Problem statt der Lösung liefert auch der Marketingabteilung direkt das Verkaufsargument.

 

Accessability & Ausschließende Systeme

Accessability ist in aller Munde, doch der Begriff ist auch entsprechend vielfältig. Die beiden Referenten Luke Murphy und Natalia Filvarova haben hier zwei persönliche Perspektiven mit der Gruppe geteilt. Besonders spannend fand ich Natalias Beispiel von einem Sitz, der nach umfangreicher Analyse und Arbeit für den durchschnittlichen Piloten entwickelt wurde. Durchschnitt klingt erstmal gut, nur hat er am Ende leider niemandem gepasst, da wir Menschen dafür einfach zu unterschiedlich sind.

Meine Tipps & Takeaways: 

  1. Accessability ist kein Aufwand, der „nur“ einer Minderheit einen Mehrwert bringt
    In der Vergangenheit wurden viele Alltagsprodukte für spezielle Zielgruppen entwickelt, aber sind nun bei  allen im Einsatz und bringen dort einen Mehrwert. Dazu gehören z.B. elektrische Zahnbürsten oder automatische Türen. Von daher sollten wir das nicht als Mehraufwand sehen, sondern den Mehrwert erkennen. Auch dem „Normalsehenden“ hilft es, wenn digitale Elemente Feedback auf Interaktionen geben.
  2. So oft wie möglich mehrere Sinne ansprechen
    Auch wenn man denkt, dass das digitale Produkt ja „nur“ visuell wahrgenommen werden kann, gibt es durchaus Möglichkeiten, auch auf andere Art Feedback auszuspielen. So könnte man die Lautstärke eines Cafés zu bestimmten Uhrzeiten z.B. auch erlebbar machen, indem man eine Audiodatei abspielt. Oder die Haptik einer Kleidung durch das Verhalten der Maus (sanft vs. ruckelig) abbilden. Je mehr Sinne man anspricht, desto mehr bleibt das Erlebnis schließlich in Erinnerung.
  3. Filter und Auswahlen möglichst „geschlechtsneutral“ anbieten
    Klassischerweise gibt es bei der Wahl der Anrede nur „Herr“ und „Frau“ oder vielleicht noch „Andere“. Hier ist es zielführender z.B. eine eigene Eingabe, statt nur „Andere“ zu ermöglichen oder zumindest kein Pflichtfeld anzusetzen. 1.7% der US-Bürger identifizieren sich beispielsweise als intersexuell. 51% der Bevölkerung sind weiblich, werden aber in der Auswahl erst an zweiter Stelle angeboten. All das sind Bewertungen bzw. „Ausschlüsse“.  Ein weiteres Beispiel wäre, im E-Commerce bei der Filterung nach Kategorien im eCommerce eine Rubrik anzubieten wie „Unisex Klamotten“, statt nur „Mann“ und „Frau“.

 

Brad’s Global Design System

Brad Frost muss man nicht vorstellen. Aber der Vollständigkeit halber möchte ich auch seinen Vortrag nicht unterschlagen. Brad hat noch einmal durch die Geschichte von Design Systemen geführt, mit all den Herausforderungen und explosionsartig steigenden Anforderungen aufgrund der vielfältigen Plattformen. Geendet hat sein Vortrag letztendlich bei seiner persönlichen Vision: Ein globales Design System für alle statt einem individuellen Design-System pro Firma. Jedes Unternehmen muss aktuell an jedem Element eigene Anpassungen vornehmen, sollte es spezielle Anforderungen wie z.B. die der Accessability geben. Das ist unnötig zeitaufwändig und wäre so leicht zu lösen, wenn alle DAS eine zentrale  System verwenden würden und dieses dann nur noch für ihre Anforderungen (Farben, Schrift und Co) individualisieren müssten.

Meine Tipps & Takeaways: 

Design System Vorlagen nutzen
Da ich das „Globale Brad Frost Design System“ nicht umsetzen kann, könnte ich euch zumindest den Tipp mit auf den Weg geben, sich gewissen Open Source Librarys zu Nutze zu machen, um schon bei der Basisarbeit Zeit und Mühe zu sparen. Hier gibt es sowohl in der Figma-Community als auch für die Entwickler entsprechende Librarys. Vielleicht gibt es ja auch Unternehmen/Kunden, die sich die Basis eines Design Systems bereits heute teilen könnten?

 

Karriere-Pfade: Expert vs. Manager

Natürlich gab es auf der Konferenz auch diverse Erfahrungsberichte zu den eigenen Karrierewegen wie z.B. von José Torre (der übrigens auch die zauberhafteste Präsentation illustriert hat!) oder Temi Adeniyi. Gerade wenn man am Scheideweg steht, wie die eigene Karriere weitergehen soll (Experte oder Manager) war ihr Appell ans Publikum, es einfach auszuprobieren. Am Ende ist kein Weg final und das Wissen aus dem eingeschlagenen Weg kann durchaus später auch auf anderen Pfaden hilfreich sein. Wichtig ist nur, sich irgendwie weiterzuentwickeln. Die Richtung ist dabei zweitrangig.

Meine Tipps & Takeaways: 

Ausprobieren statt zu viel zu Grübeln
Wenn man die Chance bekommt, eine neue Aufgabe zu übernehmen, mag das vielleicht zunächst beängstigend sein, aber zum einen wird es euch zugetraut (also zweifelt nicht) und zum anderen wächst man ja mit seinen Aufgaben.